„Dreh dich nicht um!“ Der Ritter im Hirschenhübel

Im Hirschenhübel, einem Berg zwischen Illingen und Hüttigweiler, soll der Legende nach im 15. Jahrhundert der Ritter Johann von Kerpen-Warsberg unter mysteriösen Umständen eingeschlossen worden sein. Laut Überlieferung verschwand er während einer kriegerischen Auseinandersetzung in Lothringen, in die er sich durch verwandtschaftliche Beziehungen verstrickt hatte – seitdem ward er nicht mehr gesehen. Wie sich später herausstellte, wurde der Ritter in den Hirschenhübel verbannt: Seine Frau Elisabeth von Kerpen, Tochter des reichen Templerherren Arnold von Sierck auf Meinsberg und Montclair, schickte eines Tages zwei Diener mit einem Auftrag nach Oberthal. Ihr Weg führte die beiden Männer über den idyllischen Hirschenhübel, als sie plötzlich an einer Stelle Klagelaute vernahmen. Das Jammern und Seufzen kam aus einem Erdspalt, der sich vor den verblüfften Bediensteten auftat. Es schien, als ob der Berg die beiden einlud, hereinzutreten.

Neugierig traten sie ein und fanden im Innern des Berges alsbald ein Gewölbe vor. In der Mitte des hohen Raumes saß, zu ihrer großen Überraschung, ein Ritter in voller Rüstung auf einem kunstvollen Thron – er war derjenige, von dem das wehmütige Seufzen ausging. Doch der Ritter war nicht alleine: Eine schöne Frau stand neben ihm, um sein vor Kummer schweres Haupt zu halten. Die beiden Männer glaubten, in dem traurigen Ritter ihren ehemaligen Herrn, Johann von Kerpen, zu erkennen und traten vertrauensvoll näher. In diesem Augenblick verwandelte sich die Frau in eine feuerspeiende Schlange. Zu Tode geängstigt flohen die Diener aus dem Berg und berichteten ihrer Herrin umgehend von ihrer Entdeckung. Elisabeth schöpfte Hoffnung: Konnte sie ihren geliebten Mann zurückgewinnen? Sogleich machte sie sich auf zum Hirschenhübel. An der Stelle, die ihre Diener beschrieben hatten, hörte auch sie das Jammern und Seufzen einer männlichen Stimme. Erneut tat sich der Spalt auf und gewährte ihr Einlass.

Ebenso wie die Diener entdeckte Elisabeth in dem Gewölbe den Ritter mit der hütenden Jungfrau. Fassungslos vor Glück erkannte sie in ihm ihren vermissten Gatten Johann von Kerpen. Sie richtete das Wort an die schöne Frau, die ihren Mann zu bewachen schien – ob es denn in ihrer Macht stünde, Johann freizugeben? Die Jungfrau bejahte dies, stellte allerdings folgende Bedingung: Elisabeth dürfe sich auf keinen Fall umsehen, bevor sie und Johann nicht den Berg verlassen hätten und von der Sonne beschienen würden. Doch ebenso wie Orpheus konnte auch Elisabeth nicht abwarten. Plötzlich überkamen sie Zweifel, ob ihr Gatte ihr auch wirklich folge – und so drehte sie sich bereits am Ausgang des Gewölbes um. Erfreut, ihren Mann zu sehen, wollte sie ihn sogleich umarmen. Doch die Jungfrau hatte nicht gelogen: Johann von Kerpen verschwand vor den Augen seiner Ehefrau, für immer.

Zur Erklärung: In den Dokumenten über den historischen Johann von Kerpen gibt es zwar keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Hirschenhübel und der dazu überlieferte Sage, dennoch kann man ihn durchaus als tragische Figur bezeichnen: Johann trieb durch ungünstige kriegerische Auseinandersetzungen und damit verbundene Verschuldungen das Geschlecht der Kerpen zu Illingen beinahe in den finanziellen Ruin. Nachgewiesen ist die Gefangennahme Johann von Kerpens von 1433 bis 1446 durch den Bischof von Metz – möglicherweise ein Motiv für das plötzliche Verschwinden des Ritters in der Sage. Das finanzielle Desaster, in das Johann hineingeraten war, könnte seine Klagen in der Sage erklären – glaubt man den historischen Dokumenten, hatte er allen Grund zum Seufzen. Nach seiner dreizehnjährigen Gefangenschaft heiratete Johann von Kerpen erneut. Über das Schicksal seiner ersten Frau Elisabeth ist nichts bekannt – womöglich starb sie tatsächlich an gebrochenem Herzen?

Sandra Wagner

 

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