„Schmerz, ich banne dich…“Die geheimnisvolle Dorfheilerin „Brauchersch“

Rezepte mit Krebsaugen, Kräuter und leise gemurmelte Beschwörungsformeln – das mag manch einen an Hexenmärchen aus seiner Kindheit erinnern. Doch die Frau, die sich damit einst befasste, war von der Hexe und dem Märchen weit entfernt. Sie war eine ganz reale Frau aus dem Dorf: die Brauchersch. Heute ist diese Heilerin, die über Jahrtausende der bäuerlichen Bevölkerung mit Rat und Tat zur Seite stand, fast vergessen. 

Kaum mehr als Erinnerungen sind uns geblieben von der Person, die man einst „Brauchersch“ nannte: eine Frau war es zumeist, sehr selten nur ein Mann, in der Regel schon älter, von vielen hoch angesehen, kräuterkundig, weise. Manch einer mied sie, weil er von Krankheit lieber gar nichts hören wollte, manch einer schrieb ihr zauberhafte Kräfte zu und konsultierte sie stets gerne im Vertrauen, dass sie es schon richten würde. Auf jeden Fall aber war sie da, wenn man sie brauchte. In allen Dörfern unserer Region gab es eine Brauchersch, eine Heilerin. Doch schon vor 1900 begann ihre Position zu bröckeln. Die Brauchersch verloren mehr und mehr an Bedeutung, wurden belächelt, lernten keine Nachfolgerinnen mehr an und verschwanden schließlich sang- und klanglos (fast ganz) aus unserer Gesellschaft. Die Zeit der Schulmedizin war gekommen. Wie aber hatte die Zeit der Brauchersch, die schon sehr viel länger, nämlich über Jahrtausende bestanden hatte, ausgesehen?

Wichtig ist: Zu der Volksheilkunde, wie sie die Brauchersch anwendete, gab es für die Landbevölkerung lange keine Alternative. Denn die ärztliche Versorgung war weit entfernt von dem, was wir heute darunter verstehen. Im ausgehenden Mittelalter, um 1500, gab es studierte Ärzte nur an den Höfen der Adligen oder in reichen Städten und es handelte sich eher um eine Art Magier oder Alchemisten. Anatomisches Wissen, echte Diagnosefähigkeit und Medikamentenkenntnis fehlten – man setzte auf Gestirnbeobachtungen, Edelsteinanwendungen und immerhin Heilpflanzen. Das Studium von Geistern war wichtiger Teil der Ausbildung, denn man glaubte, sie fügten Menschen Verletzungen und Krankheiten zu. Abt Johannes Trithemius (1462 – 1516), einer der bekanntesten Wissenschaftler seiner Zeit, unternahm sogar eine umfassende „wissenschaftliche“ Untersuchung der Geister, wahrscheinlich im Auftrag von Kaiser Maximilian.

Die Kenntnisse der Ärzte wuchsen zwar über die Jahrhunderte, doch sie praktizierten noch um 1900 kaum auf dem Land. Gleichzeitig war dort das Interesse an ihnen nur mäßig, denn sie waren teuer und außerdem verstand man Krankheit noch immer als Folge einer Geisterberührung. Und dafür war die Brauchersch von jeher die Expertin.

Besprechen, Salben und Co

Eine Behandlung bei der Brauchersch kann man sich folgendermaßen vorstellen: Sie befragt den Patienten über seine Symptome, redet beruhigend auf ihn ein und berührt ihn – streicht ihm etwa über den Kopf oder legt ihm die Hände auf die Schulter. Und sie murmelt Brauch-Sprüche: Leise reiht sie Worte aneinander, die akustisch kaum verständlich sind und wenn doch, keinen richtigen Sinn ergeben. Das einzige, was Patienten nachvollziehen können, ist die Trinitas-Formel am Ende jedes Spruchs: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.“ Bei diesem Gespräch mit Aufsagen von Brauchsprüchen handelte es sich um das „Besprechen“. Die Inhalte der Sprüche beschworen oder bannten die Krankheit beziehungsweise den Geist dahinter oder sie beinhalteten die Behandlungsmethode und beschworen damit gleichsam deren Wirksamkeit. Oft wurden Gott, Jesus oder Heilige genannt und am Ende die Trinitasformel angehängt, wodurch ein gebetähnlicher Charakter entstand.

Nach dem Besprechen ging die Brauchersch zu den Anwendungen über, etwa mit Verbänden, Salben und Medikamenten. Auch gab sie dem Patienten Anweisungen für weitere Anwendungen zu Hause sowie die dafür benötigten Heilmittel mit auf den Weg. Letztere waren normalerweise selbsthergestellt. Im Gegensatz zu Ärzten durften die Brauchersch zwar keine giftigen Rohstoffe für Medikamente aus der Apotheke beziehen, doch das machte nichts. Sie sammelten ihre Heilpflanzen ohnehin von jeher selbst und kannten sich mit den Dosierungen sehr gut aus. Außerdem konnten sie sich eine Reihe von Erden, Metallen, Salzen und Chemikalien beschaffen, sowie Öle und Fette. Mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln stellten die Frauen Tees, Pulver, Öle und Salben her. Auch verwendeten sie Heilkräuter pur (frisch oder getrocknet), als Wisch oder klein gehackt und auf erkrankte Haut- und Körperstellen gebunden. Zu den Anwendungen der Brauchersch zählten jedoch auch rein magische Handlungen.

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